ZEITMagazin Online, 2020
Stars in Quarantäne
~ Wie öde es doch am Pool ist
In Frankreich machte sich die Bestsellerautorin Leïla Slimani kürzlich ein paar Gedanken zum Them Lockdown. Slimani, die mit einem Buch über eine mordende Nanny berühmt wurde, hatte die Kinder ins Auto gesetzt und war von Paris in ihr Landhaus in die Normandie gereist. Für die Zeitung Le Monde führte sie dort ein Corona-Tagebuch. Es ging um schlaflose Nächte, Raureif auf den Wiesen und die Knospen am Lindenbaum. Dem Nachwuchs hatte sie die Quarantäne als Dornröschenschlaf erklärt.
Die meisten Menschen in Frankreich – und anderswo – erleben die Krise einen Tick weniger romantisch. In Paris sind die Wohnungen notorisch klein, dort geht der Blick aus dem Fenster auf Beton statt auf Hügel und Efeuwuchs. Entsprechend verständnislos waren die Reaktionen auf Slimanis Updates aus dem Landidyll. Ihr Privileg zur Schau zu stellen, sei obszön, schrieb der Journalist Félix Lemaître. Andere verglichen Slimani mit der Königin Marie Antoinette, die einst im Schlossgarten Bauernhof spielte.
Der Argwohn liegt nicht darin begründet, dass Slimani ein Ferienhaus besitzt. Sondern darin, dass sie offenbar unter dem Eindruck steht, die Krise habe sie genauso hart getroffen wie viele andere. Es ist eine Gemütsbewegung, die unter Prominenten verbreitet scheint; We’re in this together, tweeten sie – man sitze nun im gleichen Boot.
Angesichts unterbrochener Dreharbeiten, abgesagter Tourneen und geplatzter Werbedeals verfügen Hollywoodstars und Musiker gerade über viel Zeit – genau wie diejenigen, die zu Hause an ihren Smartphones kleben. Für sie haben die Prominenten gute Ratschläge zum Drinnenbleiben parat, während sie in der Villa gesunde Snacks zubereiten oder im eigenen Fitnessstudio trainieren.
In Hollywood-Kreisen herrscht Ennui. Die Schauspielerin Gwyneth Paltrow klagt über Corona-Stress; zu Hause gäbe es derzeit kaum Privatsphäre, man lebe in beengten Verhältnissen. Diese Begrifflichkeit ist Ansichtssache, denn das Haus der Paltrows in Los Angeles hat 743 Quadratmeter.
Selbstverständlich darf die Krise auch Celebritys auf die Nerven gehen; niemand sitzt gerne wochenlang rum. Doch es ist ein Unterschied, ob man es in einer winzigen Wohnung tut oder am eigenen Pool. Vielen Stars scheint überhaupt nicht aufzufallen, dass ihr Lifestyle nicht der Durchschnittserfahrung entspricht. Manche fühlen sich in Endzeitstimmung versetzt und philosophisch beflügelt. Das Schön-Schreckliche am Virus sei, erläutert Madonna in einem Video, dass er jeden treffe könne. Die Pandemie fungiere als großer Gleichmacher. Ihre Botschaft nahm die Popsängerin in einem Rosenbad auf.
Darin liegt eine gewisse Ironie: Während sich die meisten Menschen dieser Tage dank Lagerkoller und herausgewachsenem Haarschnitt den Stars ferner fühlen als je zuvor, scheinen diese sich plötzlich zu fühlen wie alle anderen. Oder so, wie es sich ihrer Meinung nach anfühlen muss, alle anderen zu sein.
Vielen Fans aber hat das Gejammer die Lust an der Celebrity-Kultur verdorben. Natürlich ist bekannt, dass Stars und reiche Menschen einen anderen Lifestyle pflegen als die meisten Normalbürger. Dank Reality-TV und Social Media weiß man längst, wie es bei Hollywood-Schauspielern in der Luxusküche oder in der Multi-Garage aussieht. Sendungen wie Keeping Up With The Kardashians sind erfolgreich, weil sie so absurd sind, wie sie sind. Das Spektakel ihres Exzesses wirkt wie aus einer anderen Dimension: Es zeigt eine Welt, die mit der eigenen rein gar nichts zu tun hat.
Der Fun Factor sinkt deutlich, wenn der ganze Erdball im Krisenmodus operiert. Viele Menschen stehen nun vor sehr ähnlichen Problemen – und besitzen recht facettenreiche Möglichkeiten, sie zu umschiffen. Während manche in WG-Zimmern den Putz anstarren und in überfüllten Discountern einkaufen, chartern andere Yachten und segeln dem Virus davon. Buchungen für Privatjets gehen durch die Decke, berichtet die Financial Times. Aus Corona-Krisengebieten wie New York reisen Reiche in die nahegelegenen Feriengebiete wie den Hamptons. Die Anwohner zeigen sich wenig begeistert über die Pandemie- Touristen.
Die Überraschung liegt wohl kaum darin, dass Menschen mit Mitteln diese in Krisenzeiten zu ihrem Vorteil nutzen. Sondern darin, dass sie anderen ihren strategischen Vorteil ungeniert unter die Nase reiben. Offenbar ist mit der letzten Rolle Toilettenpapier auch jeder Realitätsbezug flöten gegangen. Nicht jeder Popstar muss gleich ein Krankenhaus bauen. Doch ein bisschen Takt wäre ganz schön.
Als Jennifer Lopez kürzlich auf Twitter ihren riesigen Garten vorführte und den Ausfall von Restaurantbesuchen beklagte, kam das auch bei Fans eher mittelmäßig an. "Glad you’re having fun", kommentierte einer. "We all hate you", ein anderer. Mittlerweile dienen Szenenfotos aus dem Oscar-Film Parasite, in dem sich eine arme südkoreanische Familie im Haus einer anderen reichen Familie einnistet, als Meme der Wahl, wann immer Stars Einblicke in ihr Zuhause gewähren. Auch der Marie Antoinette zugeschriebene Kuchenspruch macht die Runde: "Let them eat cake".
Einen Backlash bekam auch die amerikanische Super-Influencerin Arielle Charnas zu spüren. Charnas hat 1,3 Millionen Instagram-Follower und einmal innerhalb von 24 Stunden eine Modekollektion für vier Millionen Dollar verkauft. Sie ist es gewöhnt, vor ihren Fans die Lippenstifte ihrer Sponsoren zu bewerben oder die Einrichtungsgegenstände ihres Apartmentszu erläutern. Kürzlich filmte sie, wie sie sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von einem befreundeten Arzt auf Corona checken ließ. Tests waren da in New York kaum verfügbar, selbst für Patienten mit schweren Symptomen.
Das Resultat der Untersuchung war positiv. Die Regeln für diesen Fall sind einigermaßen unmissverständlich: zwei Wochen zu Hause bleiben, Kontakt reduzieren, nicht verreisen. Die Influencerin Charnas fuhr stattdessen mit Kind und Kegel in die Hamptons. Von dort aus dokumentierte sie, wie sie mit ihrer ebenfalls infizierten Familie durch den Urlaubsort schlenderte. Der Shitstorm, den sie damit auslöste, war so heftig, dass manche Medien schon prophezeiten, sie hätte die Influencerkultur ins Grab gebracht.
Denn während professionelle Instagrammer ihren Followern ein hübsches Leben und ein bisschen Eskapismus vorleben, müssen sie vor allem dafür sorgen, dass andere sich mit ihnen identifizieren können. Je glaubwürdiger sie wirken, desto zuverlässiger können sie die Badeanzüge und Gesichtcremes großer Konzerne an die Frau bringen. Im Fall Charnas ist das Konzept Authentizität gerade implodiert. Das Thema Reisen, für viele Influencer Kerngeschäft, ist spätestens jetzt auf Eis gelegt. So oder so stehen sie vor einem Dilemma: Wer die Zeichen der Zeit ignoriert, wird abgestraft. Wer es nicht tut, hat keinen Content.
Auf den Kanälen von Arielle Charnas herrscht seit dem Hamptons-Debakel Funkstille. Die Schriftstellerin Leïla Slimani will sich dagegen nicht vorschreiben lassen, wie sie über die Krise schreibt. Schließlich, sagte sie in einem Interview, sei ihr Logbuch aus dem Landhaus subjektiv. Und keine Sichtweise könne besser sein als eine andere. Oder schlechter.