Focus, 2021

Emerald Fennell 
~ Rosa ist die Rache


In ihrem Oscar-prämierten Thriller „Promising Young Woman“ serviert die Britin Vergeltung mit Pop-Appeal


Wer die Arbeit von Emerald Fennell beschreibt, landet oft bei Vokabeln aus der Süßwarenabteilung. Als Bonbon mit einem sauren Kern hat man ihr Regiedebüt „Promising Young Woman“ bezeichnet, sie selbst taufte es „poison popcorn movie“ – vergiftetes Popcorn-Kino. Tatsächlich erinnert der Thriller schon der Aufmachung wegen an klebrig-rosa Zuckerwatte; allerdings an solche von der Horrorfilmsorte, in der jemand eine Rasierklinge versteckt hat. Denn Fennell, 35 Jahre alt und Londonerin, erzählt eine Geschichte über Trauma und Gewalt in einem Stil, der sich am ehesten als Mischung aus Instagram-Ästhetik und Barbie-Traumhaus beschreiben lässt. Schließlich, findet sie, müsse Düsteres nicht immer grau aussehen. Die Spannung zwischen artifiziellem Äußerenund bitterem Inhalt ist ihr Markenzeichen geworden.

„Promising Young Woman“ handelt von einer Frau auf Rachemission: Cassie, gespielt von Carey Mulligan, galt früher als begabte Medizinstudentin, wohnt aber mit 30 noch bei den Eltern. Sie jobbt in einem Coffeeshop, weil so genügend Zeit bleibt, sich ihrer eigentlichen Aufgabe zu widmen. Sie will das Verbrechen ahnden, das sie einst aus der Bahn warf. Und Leute, die sich für anständig halten, eines Besseren belehren.

Aus diesem Grund zieht Cassie jedes Wochenende eine gut geplante Show ab, torkelt mit verwischtem Make-up durch Clubs, allein und scheinbar völlig betrunken. Sie hängt dann so lange schlapp auf einem Kunstledersofa oder tastet fahrig nach dem Handy, bis ein „netter“ Typ sie mit nach Hause nimmt. Natürlich sind dessen Absichten nicht so freundlich, wie er sich vielleicht selbst vorgemacht hatte. „Jeder hält sich für einen guten Menschen“, schrieb Emerald Fennell in einem Beitrag für die „Los Angeles Times“. „Doch was, wenn dir jemand zeigt, dass du es nicht bist?“ Aus dem Gedanken, dass der eigentliche Horror in dem verborgen liegt, was wir tun, wenn niemand zusieht, entspinnt sich die Idee für den Film.

Im Frühjahr wurde „Promising Young Woman“ für fünf Oscars nominiert, darunter in den wichtigen Kategorien „bester Film“, „beste Regie“, „beste Hauptdarstellerin“ und „bestes Drehbuch“. In der letzten gewann er. Davor kannte man Fennell vor allem als Schauspielerin aus der Netflix-Serie „The Crown“, die sich zuletzt der verkorksten Beziehung von Charles und Diana widmete. Sie selbst verkörperte Camilla Parker Bowles: eine kettenrauchende junge Frau, die im königlichen Märchen plötzlich als Bösewicht dasteht.

Die Zeitspanne, die Fennells Staffel von „The Crown“ abdeckt, endet 1990, da war sie selbst erst fünf Jahre alt. Im Londoner Stadtteil Chelsea wuchs sie in etablierten Kreisen auf, ihr Vater ist der Juwelier Theo Fennell. Elton John und Andrew Lloyd Webber gehören zum Freundeskreis der Familie. Später studierte sie Literatur in Oxford. Unter diesem Gesichtspunkt ist es vermutlich kein Zufall, dass ihre Heldin Cassandra heißt, wie die Seherin in der griechischen Mythologie: die Frau mit dem Durchblick, der einfach keiner zuhört. Denn langsam offenbart sich, was hinter Cassies Vendetta steckt. Ihre beste Freundin wurde bei einer College-Party vergewaltigt und das Verbrechen unter den Teppich gekehrt. „Solche Anschuldigungen hören wir andauernd“, beklagt die Dekanin, die lieber an die Unschuld eines angehenden Arztes glauben will als an den Bericht seiner Kommilitonin.

Wie die meisten ihres Alters wuchs Emerald Fennell mit den Bro-Filmen der frühen 2000er-Jahre auf, in denen es zum romantischen Standardrepertoire gehörte, Frauen mit Alkohol abzufüllen. Die Vorstellung, dass Volltrunkenheit das Konsensvermögen beeinträchtigt, war noch nicht ins allgemeine Bewusstsein vorgedrungen. Nun dreht ihre Figur Cassie den Spieß um, wenn sie sich sehr nüchtern im Bett aufsetzt, während ihr gerade jemand die Hose runterzerrt. Läuft sie im Morgenlicht nach Hause, ist unklar, ob die rote Farbe an ihrem Arm Blut ist oder bloß Ketchup von dem Hotdog in ihrer Hand.

Als Fennell diese Schlüsselszene in einem frühen Stadium einem Produzenten beschrieb, fand der das Szenario absurd: „Sie ist ein totaler Psycho!“ Es war die Reaktion, die sie sich erhofft hatte. „Natürlich wissen diese Männer, dass sie etwas Falsches tun. Darum flippen sie aus.“

Es scheint, als habe Fennell den dunklen Seiten der menschlichen Natur schon immer etwas abgewinnen können, denn zu den ungewöhnlicheren Ein- trägen in ihrem Lebenslauf gehört, dass sie verschiedene Horrorbücher geschrieben hat, zwei davon für Kinder. Als Showrunnerin der Serie „Killing Eve“ dachte sie sich Strategien für die psychopathische Auftragskillerin Villanelle aus, die sich, nebenbei bemerkt, durch einen Hang zu Designerkleidung auszeichnet.

Dagegen wirkt „Promising Young Woman“ wie ein überzuckerter Flash- back in die Zeit von Juicy Couture und Paris Hilton, deren Song „Stars Are Blind“ auch tatsächlich in einem Super- markt läuft. Dahinter steckt vermutlich die Absicht, Erwartungen an weibliche Helden zu unterlaufen. Denn der hyper- feminine Look dient Cassie bloß als Tarnung: Weil sie in ihren flauschigen Pullovern so nett aussieht, kann sie sich – in Harmlosigkeit verborgen wie in einem trojanischen Pferd – überall lässig einschleichen.

Sie wolle zeigen, dass Frauen anders Rache nehmen, hat Emerald Fennell dazu einmal gesagt. Ob sie es tatsächlich mit Britney Spears im Ohr und Regenbogenmaniküre auf den Nägeln tun, lässt sich bezweifeln. Im Endeffekt dient der Film aber selbst als Falle: weil man eine poppige Komödie erwartet und das Kino mit ein paar Erkenntnissen über Macht und Konsens wieder verlässt.