Süddeutsche Zeitung, 2019
Robert Mapplethorpe
~ Der Sartyr
Irgendwann in den frühen Achtzigern war Robert Mapplethorpe nach Amsterdam gereist. Eine niederländische Galerie hatte vor kurzem seine Fotografien gezeigt, sowieso waren die Holländer die ersten, die Mapplethorpes Bilder kauften und in Bücher druckten. Deswegen hatte er eine Schwäche für Amsterdam. In einer Bar stieß man nun auf ihn an, auch Hans van Manen war gekommen, der Direktor des Niederländischen Nationalballetts. „Und was machen Sie beruflich?“, wurde Mapplethorpe von einem ahnungslosen Gast gefragt. Mapplethorpe verzog keine Miene, als er antwortete:„Pornografie.“ DemTischnachbar verschlug es kurz die Sprache. Da war Mapplethorpe, Mitte dreißig, Locken, gut aussehend, bereits einer der einflussreichsten Fotografen der Gegenwart. Und jemand, der Schockeffekte liebte.
Entsprechend radikal waren sein Bilder. Inhaltlich oft extrem, formal perfekt. Robert Mapplethorpe verband Highclass und Underground, er fotografierte Richard Gere und Arnold Schwarzenegger, Fetisch-Sex und viele männliche Geschlechtsteile. Jedem bestens ausgeleuchteten Motiv ver- lieh er den Glamour eines Noir-Films. Die Achtziger waren das kurze Jahrzehnt, in denen er aus den dunklen Kellern der Schwulenclubs in die Lofts der New Yorker Ober- schicht emporstieg. Als er 1989 starb, war er gerade erst dort angekommen, wo er hin- wollte: im Olymp der Kunst.
Noch posthum sorgte er damals für einen Eklat, der viel über das bigotte Klima der Zeit sagte. Der Republikaner Jesse Helms machte Mapplethorpe zur Staatssache, erklärte seine Fotos im Senat zur Zumutung und wollte der staatlichen Kunststiftung Zuschüsse kürzen. In Washington wurde eine Retrospektive abgesagt, in anderen Städten verbuchte sie dank Skandalfaktor Besucherrekorde. Mapplethorpe war zur Hauptfigur eines amerikanischen Kulturkriegs geworden, der Anfang der Neunziger auch Madonna und Martin Scorsese ins Visier nahm. Seinem Ansehen schadete es nicht. Im Gegenteil. 2015 ver- steigerte Sotheby’s eines seiner Fotos für eine halbe Millionen Dollar.
Inzwischen ist Robert Mapplethorpe genau 30 Jahre tot, er scheint, aus diesem Anlass, untoter denn je. Ein Kinofilm, der seinen Namen trägt, hat sein Leben auf Leinwandformat gebracht, verkörpert wird der junge Mapplethorpe von Matt Smith, der davor schon mal den jungen Prinz Philip gespielt hat. Besser dran ist man im New Yorker Guggenheim Museum, das Mapplethorpe gerade eine zweiteilige Ausstellung widmet, die bis nächstes Jahr laufen wird. Sie zeigt die klassischen Sujets (Promis, Blumen, Sex, Mapplethorpe). Porträts von Künstlerinnen wie Cindy Sherman und Louise Bourgeois hängen neben sich selbst- mörderisch aus Vasen werfenden Tulpen, italienische Touristen betrachten mit anthropologischer Ernsthaftigkeit Aufnah- men aus dem S&M-Keller. Von den Wänden blickt Robert Mapplethorpe mit Haartolle, mit Maschinenpistole, fast tot.
Treffen mit Jack Walls, Mapplethorpes letztem Lebenspartner. Walls wohnt in Hudson, zwei Stunden nördlich von New York gelegen, es ist eine Kleinstadt mit beachtlicher Künstleransiedlung. Marina Abramović besitzt in der Gegend ein sternförmiges Haus mit gigantischem Anwesen. Auch Schauspielerinnen wie Jemima Kirke und Gaby Hoffmann sollen hier anzutreffen sein. Jack Walls ist Künstler und 62. Irgendwann, sagt er, sei er mit New York durch gewesen. Dort kann sich kein Künstler mehr das Künstlersein leisten. In Hud- son gibt es hübsche Restaurants, Kleinfamilien und eine Menge Antiquitätenläden. Walls bestellt Apfelplunder.
Er war 25, als er Robert Mapplethorpe kennenlernte, der zehn Jahre älter war. Walls kam direkt aus der Navy. Es war der Sommer, als jeder in Manhattan über Mapplethorpes „Black Males“-Ausstellung sprach, in der nur Bilder von schwarzen Männerkörpern hingen. Wie Walls wohnte Mapplethorpe im West Village, man kannte sich vom Sehen. „Eines Tages gab er mir seine Visitenkarte.“ Und eine Telefonnummer. An einem Frühlingsabend im Jahr 1982 rief Walls an. Als er ein paar Stunden später ein Café namens Pink Tea Cup betrat, saß Mapplethorpe schon am Tisch. Sie begannen zu reden, es war März. Im Juni zog Walls bei Mapplethorpe ein.
Robert Mapplethorpe war als Kind katholischer Eltern in Queens aufgewachsen: fünf Geschwister, Vorstadt-Idylle. Sein Vater hätte ihn gerne beim Militär gesehen. Als Sechzehnjähriger begann er am Pratt Institute in Brooklyn Kunst zu studieren, ein paar Jahre später traf er ein Mädchen namens Patti Smith, das erst seine Geliebte, dann seine beste Freundin, dann ein Rockstar wurde. In ihrem Bestseller „Just Kids“ beschreibt Smith, wie die beiden eremitenhaft an ihrer Kunst werkelten. Mapplethorpe zeichnete, klebte Collagen, be- kam eine Polaroidkamera geschenkt, begann zu fotografieren. Als die beiden ins Chelsea Hotel zogen, war das auch eine Art Karriereschachzug: das Chelsea war die erste Adresse, wenn man Dichter, Musiker und anderweitig interessant gestrandete Persönlichkeiten treffen wollte.
Gleichzeitig begann Mapplethorpe Affären mit Männern. Sex wurde ein Mittelpunkt seiner Arbeit. Er ging in schwule Fetischklubs und fotografierte, wen er mit nach Hause brachte. Auch wenn diese Bilder keinen riesigen Teil seiner Arbeit aus- machten, wurden sie Mapplethorpes Markenzeichen. Er inszenierte sich als Prinz der Finsternis und als Satyr mit Peitsche im Hintern. Den Leder-Lifestyle verstand er als Ästhetik. „Er hielt ihn für eine Art der Kultiviertheit, die das Verständnis vieler Menschen überschreitet“, sagt Jack Walls. „Ein Eliten-Ding.“ Störte es ihn, wenn manche seine Arbeiten obszön nannten? „Im Gegenteil! Das gefiel ihm. Darum ging’s schließlich.“
Mapplethorpes Wohnung lag zwischen Bleecker und Mercer Street, in einer Ecke also, in der die New York University heute gigantische Häuserkomplexe neben Saft- bars baut. Bei Mapplethorpe gab es kein Schlafzimmer, dafür ein Schrankbett, Marke Eigenbau. Später richtete er sich mit Designermöbeln und Kunst ein. Er sammelte leidenschaftlich: Zeichnungen, Skulpturen, historische Fotografien. Die Callas und Orchideen, die er fotografierte, drapierte er in teuren Venini-Vasen. So recht- fertigte er es, wenn er eine neue kaufte: dass er sie für seine Bilder benutzen würde. An der Wand hing Ed Rushas Bild mit der Aufschrift „Evil“, Teufelsfiguren stan- den herum. Mancher Gast fand das unheimlich, zumal auch Mapplethorpes Lichtkonzept eher vom Understatement lebte. „Es gefiel Robert, den Leuten einen Schrecken einzujagen“, sagt Jack Walls. „Er hatte ein großes Faible für Dimmer.“
Heute wohnt Walls in einem weiß ver- kleideten Haus, aus dem auch eine Firma für Apfelstrudel operiert. In seinem Wohnzimmer stapeln sich Kataloge und Bücher, Rimbaud ist da, oben auf liegt Patti Smiths Buch „M-Train“. An der Wand, neben Zeichnungen und afrikanischen Masken, ein Mapplethorpe-Porträt. Jack Walls trägt Arbeitsstiefel und einen Parka, den er auch auf dem Sofa nicht auszieht. Er blättert durch einen Auktionskatalog von Christie’s, der Kunstwerke, Designgegenstände und Möbel aus Mapplethorpes Besitz aufführt. Zwischen diesen Dingen hat er ein- mal gelebt. Nach Mapplethorpes Tod wurde alles versteigert, das Geld ging an eine eigens gegründete Stiftung. Drin im Katalog ist auch eine kleine Farbpalette, die Walls einmal zu Weihnachten verschenkt hat.
So schnell Walls bei Mapplethorpe einzog, so lange blieb er. Die Beziehung dauerte den größten Teil eines Jahrzehnts. Damals drehte sich in ihrem Leben alles um Kunst. „Wir sind jedenfalls nicht Tennisspielen oder Bowlen gegangen“, sagt Walls. Unter Mapplethorpes veröffentlichten Fo- tos sind trotzdem verhältnismäßig wenige, die ihn als jungen Mann zeigen. Es liegt wohl vor allem daran, dass Walls nicht übermäßig viel Spaß am Posieren hatte. Er habe, sagt er, nicht bloß ein weiterer schwarzer Körper sein wollen.
Irgendwann hatte Mapplethorpe angefangen, haufenweise muskulöse, dunkelhäutige Männer zu fotografieren, mal in klassizistischen Posen, mal mit Nahaufnahme im Schritt. Manch einer warf ihm deswegen Rassismus vor. Walls sagt, er sei einfach kein Hercules gewesen und auch kein Narzisst. Er arbeitete in Modeboutiquen, tanzte in einem Musikvideo von Whitney Houston. Um auf der sicheren Seite zu sein, stellte er sich als Schauspieler vor. Einen Künstler gab es schließlich schon in der Familie. Erst später über- nahm er die Rolle selbst. Heute liegt Walls’ Studio im ersten Stock seines Hauses. Dort malt er: Basquiat-artige Köpfe, Minimalistisches in Schwarz-Weiß. Gerade bereitet er eine Ausstellung in Chicago vor.
Robert Mapplethorpe hatte seinen Durchbruch lange zuvor geschafft, 1977 mit einer Doppelausstellung. In der schicken Galerie von Holly Solomon zeigte er Porträts und Stillleben für kaufkräftige Kunden, im Downtown-Treffpunkt The Kitchen Fotos mit weniger anschlussfähigen Motiven. Er lasse Pornobilder so elegant aussehen wie einen Louis-Quinze-Stuhl, fand die Filmemacherin Sandy Daley. Seine Fotomotive fand er im Untergrund der New Yorker Schwulenszene. „Es gab diese berüchtigte schwarze Bar im Village namens Keller’s“, erinnert sich Jack Walls. „Dort traf man Alvin-Ailey-Tänzer, Menschen wie Alistair Butler, Bill T. Jones.“ In den Siebzigern, als Mapplethorpe Clubs wie das „Mineshaft“ entdeckte, brachte er an einem Tag hintereinander schon mal drei Männer mit nach Hause. Er ging zum Dinner auf die 5th Avenue und von dort an Orte, die Bewohnern der 5th Avenue Schauer über den Rücken gejagt hätten. „Es war eine düstere Angelegenheit“, sagt Jack Walls. „Kein Kirchgang. Es war letztendlich eine gefährliche Lebensweise.“
Später verlegte sich Mapplethorpe immer mehr auf familienverträgliche Lilien und lukrative Auftragsarbeiten. Sich von ihm fotografieren zu lassen, gehörte in ausreichend begüterten Kreisen irgendwann zum guten Ton. Mapplethorpe schoss Gloria von Thurn und Taxis mit Perlenkette, Sigourney Weaver mit Perlenhandschuh, Susan Sarandon mit Kind. Übermäßig viel Zeit mussten sie dafür nicht einplanen. Eine Fotosession dauerte bei Mapplethorpe aus Prinzip höchstens einen Nachmittag. Seine Anweisungen waren kurz und präzise. „Den Kopf nach links drehen“ etwa, dann: „Augen zurück zu mir.“ Das, sagt Jack Walls, sei eine typische Mapplethorpe-Anweisung: „Man kann sie noch in vielen seiner Bilder erkennen.“
Trotz seines harten Images war Mapplethorpe schüchtern, sagt Walls. Wenn er sich im In-Club „Danceteria“ nicht traute, David Byrne von den Talking Heads anzusprechen, ging Walls rüber und sagte: „Dort drüben steht mein Freund Robert Mapplethorpe, er würde Sie gerne fotografieren.“ Am nächsten Tag kam Byrne ins Studio.
Mit Andy Warhol, dem anderen großen Prominentenfotografen, verband ihn eine Art Hassfreundschaft. In ihrem Buch „Just Kids“ beschreibt Patti Smith, wie sie und Mapplethorpe Abend für Abend im Club „Max’s Kansas City“ verbrachten, um der Factory-Entourage nahe zu kommen. Mapplethorpe wollte so berühmt werden wie Warhol, er glaubte an Kunst und Geld. Warhol konnte mit ihm nichts anfangen, weil Mapplethorpe damals noch ein Hippie mit Fellweste war. Viele Jahre später machte er ihn trotzdem zum Hausfotografen seines Interview Magazins. Der erste Auftrag war ein Porträt des Popsängers Prince, seine Gage betrug 25 Dollar. Mapplethorpe, so erinnert sich Jack Walls, war das egal. Er woll- te in einem Impressum stehen. Monat für Monat rannte er deswegen zum Kiosk. Mapplethorpe vertraute Warhol nicht: „Jedes einzelne Mal“, sagt Walls, „rechnete er damit, dass Andy ihn rausgestrichen hätte.“ Danach landete das Heft im Müll.
Heute trägt Jack Walls einen grauen Stoppelbart und Lesebrille. Nach New York City fährt er kaum noch. Im Hudson Valley stehen holzvertäfelte Häuser und viktorianische Villen in diskretem Abstand nebeneinander. Nach Informationen der New York Times ist die Gegend seit kurzem Lieblingsziel jener New Yorker, denen es in den Hamptons zu überkandidelt zugeht. Nicht wenige Brooklyner, heißt es, träfen hier ihre Brooklyner Nachbarn auf der Straße. Der Immobilien-Boom ist längst da. Er fände es hier mitunter bestürzend konservativ, sagt Walls. Vielleich sollte man nach Chicago ziehen.
Robert Mapplethorpe war spätestens 1988 angekommen, in den Institutionen und beim Geld. Das New Yorker Whitney Museum, ein Haus, das eigentlich keine Fotografien zeigte, widmete ihm eine riesige Retrospektive. Es war sein Triumph. Da war Mapplethorpe schon stark gezeichnet, zwei Jahre zuvor war bei ihm HIV diagnostiziert worden. Mit 42 sah er aus wie ein alter Mann. Versteckt hätte er sich deswegen nie. Ohnehin bekannt für eine eiserne Arbeitsmoral, produzierte er in den letzten Jahren immer manischer. Beim Empfang im Whitney Museum saß Mapplethorpe bereit, erschöpft, aber ganz Stargast, um die Glückwünsche der geladenen Besucher in Empfang zu nehmen.
Auch da habe man noch etwas von ihm lernen können, findet Walls. Und wenn es bloß dies gewesen wäre: in Würde zu sterben.