Welt am Sonntag, 2021
Schiaparelli
~ Ein Texaner in Paris
Eine Robe mit Ledermuskeln, eine Friedenstaube für Lady Gaga: Während andere Modedesigner sich in Minimalismus üben, setzt Daniel Roseberry noch einen drauf. Für das Pariser Haus Schiaparelli entwirft er unerhörte Couture
Daniel Roseberry hat vermutlich einen der schönsten Arbeitsplätze in Paris. Sein Atelier liegt direkt an der Place Vendôme, der Blick aus dem Fenster geht auf jahrhundertealte Architektur. In diesen Räumen hat einst Elsa Schiaparelli mit Salvador Dalí und Jean Cocteau konferiert. Nun trägt Roseberry sein Handy zum Fenster, lässt die Kamera über den Platz und die glänzenden Balkonverzierungen schwenken. Das viele Gold hat ihn beeindruckt, als er vor zwei Jahren herzog. „Es ist überall“, sagt Roseberry und muss ein bisschen über sich selbst lachen. „Das klingt schon sehr amerikanisch: eine ungebrochene Faszination für all das barocke Goldzeug.“
Es passt, dass sich das Dekor mittlerweile im Schmuck und in den Kleidern wiederfindet, die Roseberry entwirft. In der strengen Robe etwa, die Lady Gaga zur Amtseinführung von Joe Biden trug – bauschiger roter Rock, goldene Friedenstaube auf der Brust. Seit rund zwei Jahren leitet Daniel Roseberry das Modehaus Schiaparelli. Keine naheliegende Wahl für den Posten: ein eher unbekannter Designer aus Texas, der die meiste Zeit seiner Karriere bei Thom Browne verbracht hat, jenem New Yorker Label, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Shorts als akzeptablen Bestandteil eines Anzugs zu etablieren. Sein neuer Arbeitgeber ist eines der alten Pariser Couture-Häuser, 1927 gegründet von der Italienerin Elsa Schiaparelli, die als ewige Rivalin von Coco Chanel galt und die Mode ihrer Zeit mit surrealistisch angehauchten Roben und einer Farbe namens Hot Pink prägte. Es hätte also auch schiefgehen können.
Doch Roseberry erwies sich als der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt, um das Haus aus der Vergessenheit zu hieven. Couture ist maßgeschneiderte Mode, die nicht viel mit dem Alltag zu tun haben muss, aber für den großen Auftritt taugt. Und Roseberrys Kleider bevölkerten bald die roten Teppiche. Manche erinnerten an Sahnedesserts, andere an Konfekt. Die Schauspielerin Regina King nahm ihren Emmy in einem saphirblauen, mit Edelsteinen verzierten Wölkchen entgegen. Cate Blanchett zeigte sich in einem fließenden Kleid im Stil antiker Göttinnen. Und als Beyoncé bei den Grammys zur meistausgezeichneten Künstlerin aller Zeiten wurde, trug sie ein gerafftes Lederkleid von Schiaparelli. Zu einem Zeitpunkt, da die halbe Welt eingesperrt zu Hausesaß, wirkte das zugleich hoffnungsvoll und wie von einem anderen Planeten.
Es dürfte nicht geschadet haben, dass die Hollywood-Premieren und Preisverleihungen, sonst oft für ihre Ballgarderobe belächelt, Designern während der Pandemie fast die einzige Gelegenheit boten, ihre Kollektionen vorzuführen. Klassische Modenschauen fielen aus. „Es ist die sichtbarste Art zu kommunizieren, wer wir sind und was ich mit Schiaparelli vorhabe“, sagt Roseberry. Seine Botschaft hat nichts Märchenhaftes, höchstens auf abenteuerliche Weise. Es gibt Roben, die sich scheinbar in einer Kaskade von den Ohrringen abwärts auffächern; an einem anderen Kleid hat er riesige perlenbesetzte Goldzungen und Zähne um den wellenförmigen Ausschnitt drapiert. Die gerade präsentierte Couture-Kollektion mischt spanisches Stierkämpfertum, metallisch schimmernde Stoffe und Achtzigerjahre-Pomp im Stil von Christian Lacroix. Solche Experimente sollen die Marke als alternatives Couture-Haus etablieren. Natürlich performen die knalligen Designs auch gut auf Instagram.
Nun sitzt Daniel Roseberry, 35 Jahre alt, mit entspannter Miene in seinem Büro. Er trägt Bart und einen marineblauen Pullover – den dezenten Einheitslook der Kreativbranche. Hinter ihm ragen zwei Säulen von Giacometti in die Höhe, die von Weitem so aussehen, als thronte auf jeder eine umgedrehte Muschel. Tatsächlich handelt es sich um Stehleuchten, oben strahlt das Licht raus. „Aus Gips gefertigt, gar nicht mal so schwer“, sagt Roseberry. „Im Haus gibt es noch mehr davon.“ Dass Alberto Giacometti sie extra für den Salon entwarf, zeigt, wie einflussreich Elsa Schiaparelli zu ihrer Zeit war. Die Lieblingsdesignerin der Avantgarde umgab sich gern mit Künstlern. Einige ihrer berühmtesten Stücke, das Lobsterkleid mit aufgemaltem Hummer etwa, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Surrealisten Dalí. Eine frühe Designerkollaboration, sozusagen.
Krustentiere, Roben mit eingebauter Rippenstruktur und Partys, auf denen sich die Modeschöpferin wie ein Radieschen verkleidete: Schiaparelli galt als Exzentrikerin und Antithese zum steifen Establishment. Sie leitete aber auch ihr eigenes Unternehmen, damals keineswegs die Norm. Entsprechend trat sie – der alte Hosenanzugtrick – tagsüber als Geschäftsfrau im strengen Kostüm auf. „Fast wie eine gespaltene Persönlichkeit, was ich extrem modern finde“, sagt Roseberry. „So fühle ich mich auch manchmal.“ Ihm gefällt es, wenn jemand reserviert aussieht, aber insgeheim eine völlig durchgeknallte Ideenwelt besitzt.
Denn eigentlich stammt Daniel Roseberry aus einer ganz anderen Welt. In dem Vorort von Dallas, wo er aufwuchs, war Kirche das Familiengeschäft. Der Vater arbeitete als Pfarrer, später folgten die Brüder ins gleiche Feld. „Aber die Frauen in meiner Familie waren sehr künstlerisch, eine Großmutter ist Malerin, die andere Bildhauerin. Und meine Mutter sah sehr schick aus, obwohl wir nicht viel Geld hatten“, sagt er. „Sich für den Gottesdienst herauszuputzen – diese Art von Performance hat mich fasziniert.“ Als Junge, der Audrey Hepburn liebte und im Fashion Channel die Modenschauen von Michael Kors guckte, fiel er trotzdem aus der Rolle. Also schuf er sich seine eigene Realität.
Heute ist Roseberry der einzige Amerikaner, der ein großes Pariser Couture-Haus leitet. Er ist auch der jüngste Chef einer Maison. In seiner Arbeit scheint etwas texanisches Flair zwischen der französischen Handwerkskunst durch. Dallas, wo er als Jugendlicher seine Freunde im Reichenviertel Highland Park besuchte, hat seit jeher eine ganz eigene Art der Folklore. Wer in die Stadt reise, könne dort nur langweilig aussehen, schrieb die Schriftstellerin Patricia Marx einmal im „New Yorker“, denn man kleide sich legendär over the top: „Die Farbpalette besteht aus funkelndem Meeresgrün, Sonnengelb, gold gesprenkeltem Lavendel und Türkis – viel, viel Türkis.“ Das mag nicht immer modern sein, doch Roseberry gefällt der irre Glamour, die große Geste. „Dallas ist wie L.A., aber mit Sinn für Humor. Alles dort ist riesig: große Persönlichkeit, großes Lächeln. Das hat mich beeinflusst.“
An den meisten anderen Orten der Welt wird die Mode dagegen immer alltäglicher. Turnschuhe und Kapuzenpullover hat mittlerweile fast jedes Label im Angebot, egal, wie alt oder historisch es ist. In der Pandemie haben viele auf demonstrativ bequeme Sachen gesetzt. Daniel Roseberry ging in die entgegengesetzte Richtung. Machte alles noch ungewöhnlicher, noch knalliger. Es ist seine Antwort auf die düstere Grundstimmung, die schon die Zeit von Elsa Schiaparelli prägte. Als Reminiszenz an ihr Skeletondress entwarf er eine Robe mit gepolsterter Lederkorsage, auf der sich falsche Bauchmuskeln abzeichnen. Ein Superheldinnen-Look, den Kim Kardashian gleich unter dem Weihnachtsbaum trug. „Ich glaube, die Menschen reagieren auf die stärksten Ideen“, sagt Roseberry. „Sie sehnen sich nach Wirkung.“ Für den Alltag gibt es inzwischen eine Ready-to-wear-Linie, in der man zum Beispiel fließende Anzüge in Schwarz, Weiß und Haselnussbraun findet.
Schlichte Zweiteiler waren lange das Geschäft von Daniel Roseberry. Noch während er am Fashion Institute of Technology in New York studierte, fing er bei Thom Browne an, für den er zuletzt als Design Director arbeitete. Nach zehn Jahren kündigte er ohne Plan B. „Ich wusste, dass ich ins kalte Wasser springen muss“, sagt er heute. Also mietete er in Chinatown ein Studio ohne Heizung, zeichnete und wartete.
Auch bei Schiaparelli versuchte man seit Längerem einen Neustart. Schon 2007 hatte Diego Della Valle, der Chef von Tod’s, die Marke gekauft, doch keiner der von ihm angeheuerten Designer hatte es geschafft, sie wieder fit zu machen. Dann schlug Giovanna Battaglia Engelbert, eine gemeinsame Freundin, Roseberry für die Position vor. Der skizzierte seine Vision für das Haus, und zwei Wochen später saß er im Flieger nach Paris. „Unglaublich, wenn man darüber nachdenkt.“
In Paris, das die Pandemie heftig mitgenommen hat, führe er ein regelrecht mönchisches Leben, sagt der Designer: kaum soziale Kontakte, fast nur Arbeit. Mittlerweile aber zeichnet sich ein Ende der Krise ab. Viel ist darüber diskutiert worden, was Menschen nun tragen wollen. Haben sich die weichen Bündchen und Schlabberpullis unabdingbar gemacht? Es scheint, als hätte Roseberry die Frage ein paar Mal zu oft gehört. Während des Lockdowns hat er eine vergoldete Jogginghose entworfen, sie steht jetzt in der Ecke seines Büros auf dem Fußboden. Selbst seine Version der Freizeitklamotte ist konzeptuell, anders wird man sie bei ihm nicht bekommen. „Loungewear“, sagt Roseberry, „spielt in meinem Leben keine Rolle.“