Focus, 2019

Sally Rooney 
~ Normale Menschen



Bret Easton Ellis war so ein Fall, Zadie Smith auch. Wenn junge Menschen Bücher schreiben, die irre erfolgreich sind und von anderen jungen Menschen handeln, kürt man sie zur Stimme einer Generation. Ellis war 21, als er „Unter Null“ schrieb, den Bildungsroman zum drogenbefeuerten Egotrip der Achtziger. Smith erklärte ihren Lesern zur Jahrtausendwende die Globalisierung und den Nordwesten Londons.

Seit Kurzem gilt die Irin Sally Rooney als literarische Expertin fürs Jungsein. Rooney, Jahrgang 1991, hat zwei Romane geschrieben, die von Liebe, Macht und Spätkapitalismus handeln. Sie sei, heißt es seitdem, die erste große Autorin der Millennial-Generation.

Sally Rooney weiß, wie Menschen reden und texten, wie sie ironisch teuren Wein trinken und einem dabei unironisch ihre Auslegung von Marxismus einschenken. Wie es sich anfühlt, nach dem Finanzcrash erwachsen zu werden. Sie bringt die Manierismen sozialer Gruppen auf den Punkt: die traumwandlerische Selbstsicherheit reicher Menschen (charmant improvisierte Dinner, Sommerhaus in Nordfrankreich), aber auch die latente Befangenheit nicht so reicher Menschen, die sich auf dieses Terrain begeben.

Mit ein, zwei knappen Sätzen beschwört sie einen Ort und ein Gefühl. Es geht um moderne Probleme. Rooneys Protagonisten debattieren über männliche Privilegien, die richtigfarbige Paprika und die falschen Champagnergläser. Sie sind „woke“, reflektieren ihren Alltag und ihr Verhalten, wollen aber auch ein schönes Leben. „Reiche Leute machen mich krank“, sagt ihre Protagonistin Bobbi, die selbst reich ist. Social Media sind im Hintergrund präsent.

Damit hat Rooney einen Nerv getroffen. Ihr erster Roman „Gespräche mit Freunden“ wurde in Großbritannien und den USA derart begeistert besprochen, dass man meinen könnte, sie habe das Genre komplett neu erfunden. Der zweite, „Normal People“, landete noch vor seinem Erscheinen auf der Longlist für den Man Booker Prize. Verfilmt werden beide. Zadie Smith und Sheila Heti sind Fans, Sarah Jessica Parker und Lena Dunham – ihrerseits nicht ganz unvertraut mit dem Generationsthema – auch. In New York hängen Buchhändler Schilder ins Fenster: Ja, man habe noch einige Sally-Rooney-Bücher da.

Das Wohlwollen, mit dem Rooney überschüttet wird, scheint sie selbst überrascht zu haben. Interesse an ihrer Person hatte sie nicht eingeplant. „Ich empfinde mich nicht als besonders wichtige Persönlichkeit“, sagt sie. „Und wie eine behandelt zu werden löst bei mir verschiedene komische Gefühle aus.“

Rooney ist im ländlichen Nordwesten Irlands aufgewachsen: rustikale Häuser, viel Wiese. Sie sei nicht gern ein Teenager gewesen und nicht gut im Umgang mit Autoritäten, sagt sie. Trotzdem ging sie ans Trinity College in Dublin, Irlands Elite-Universität, an der einst Oscar Wilde und Samuel Beckett studierten und wo zum Teil auch ihre Bücher spielen.

Mit 24 schrieb sie den Roman „Gespräche mit Freunden“, der jetzt auf Deutsch bei Luchterhand erscheint. Er handelt von einer seltsam verzettelten Freundschaft zu viert. Die Studentinnen Frances und Bobbi waren einmal ein Liebespaar, jetzt sind sie beste Freundinnen, eine gewisse restamouröse Spannung besteht noch. Gemeinsam manövrieren sie sich in das Leben des bourgeoisen Künstlerehepaars Melissa und Nick. Bobbi flirtet mit Melissa, Frances beginnt eine Affäre mit Nick. Niemand ist allerdings so aufgeschlossen und easy-going wie anfangs angenommen.

Das ungewöhnliche Vergnügen an Rooneys Romanen, schrieb der „New Yorker“, liege darin, „jungen Frauen bei einem intellektuellen Hooliganismus zuzusehen, mit dem sie, nur zum Spaß, jede Mittelmäßigkeit zerstören, die ihren Weg kreuzt“. Tatsächlich sind sich die weiblichen Hauptfiguren aus „Gespräche mit Freunden“ und „Normal People“ ziemlich ähnlich. Sie sind superschlau, sie haben schlimme Eltern, essen selten und schlecht (ungebutterten Toast). Sie suchen physischen Schmerz. Bei vollem Bewusstsein geraten sie in Situationen und an Menschen, die ihrer Gesundheit nicht zuträglich sind. Rooney sagt, sie sei nicht völlig sicher, ob Liebe in der Transaktionsgesellschaft möglich sei. Es ist einfacher, ein Heim zu zerstören, als eins zu besitzen.

Das Schöne daran ist, wie präzise Sally Rooney dieses moderne Kuddelmuddel beschreibt. Ihre Sätze sind schlicht, weil sie so genau sind, dass sie kein Füllwerk brauchen. Alles Überflüssige ist wegrationalisiert. Bilder entstehen aus ein paar Worten. Sie hat ein Gespür für die Wünsche und Ängste, die sich in Alltagsgesten ausdrücken. Wie jemand seine Hände tiefer in die Taschen drückt, so, als versuche er, sich ganz darin zu verstauen. Gelegentlich fragt man sich allerdings, welcher Mensch um die 20 stundenlang SMS über das Wechselverhältnis von Liebe und Kapital schickt.

Über Marianne, die Hauptfigur in „Normal People“, schreibt Rooney: „Im College schien es ihr oft, als habe ihr Gehirn kein Limit, es kann alles synthetisieren, was sie ihm gibt, es ist, als hätte sie eine mächtige Maschine in ihrem Kopf.“ Man kann sich vorstellen, dass es Rooney ähnlich geht. Sie ist bekannt dafür, sich im Gespräch genauso punktgenau auszudrücken wie auf Papier. Mit 22 war sie Europameisterin im Debattieren. Als sie in Dublin Marx las, ging ihr auf, dass sie sich schon lange kannten. Den Spruch „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“, den ihre Eltern gern anbrachten, hatte sie immer für etwas Religiöses gehalten.

Die Knappheit im Ton erinnert manchmal an Rachel Cusk, einmal auch an Kristen Roupenians viel diskutierte Kurzgeschichte „Cat Person“. Nick, der Schauspieler aus wohlhabendem Elternhaus, lässt Frances, die 21-Jährige mit dem leeren Kühlschrank, mal wieder sitzen. Sie hat Sex mit einem Tinder-Date, wenn auch nicht wirklich guten. Mittendrin überlegt sie, die vermurkste Aktion abzubrechen. Die Möglichkeit, dass der Mann nicht mitzieht, hält sie davon ab. Es würde alles verkomplizieren. Jetzt bloß nicht, denkt sie, „in eine große rechtliche Sache“ geraten.

Rooneys Protagonisten werden mit Gewalt voneinander angezogen und trennen sich wegen kleiner Missverständnisse. Machtstrukturen sind kompliziert: Er meldet sich nur, wenn es ihm in den Kram passt. Sie hat eine masochistische Ader und ist ihm intellektuell überlegen. Mit ihrem akademisch geschulten Genie weiß Frances in „Gespräche unter Freunden“ nur zu gut, dass ihre Rolle als „andere Frau“ ein Klischee ist. Über Liebe sprechen sie und ihre Millennial-Freunde sowieso nur in Anführungszeichen: „Wir können miteinander schlafen, wenn du willst, aber du musst wissen, dass ich das nur ironisch tue.“

Prinzipiell sind die Anfang-20- bis Ende- 30-Jährigen gerade nicht übermäßig beliebt. Man hat sie für alles Mögliche verantwortlich gemacht: Avocado-Toast und unbeantwortete Telefonanrufe, das Ende der Ehe und den Einbruch des Mayonnaise-Konsums. Sie sind, auch bei Rooney, die Verlierer des Spätkapitalismus. Besser ausgebildet als jede andere Generation, werden sie den Wohlstand ihrer Eltern nie erreichen. Als sie kamen, war der Spaß schon vorbei.

Trotzdem zeigt Rooney sie nicht als prinzipiell verkorkste Zeitgenossen, sondern als Menschen in einer verkorksten Gesellschaft. Sie nehmen es pragmatisch. Wer eine Depression hat, geht zum Arzt, schluckt ein paar Pillen, macht weiter. Sie glauben nicht mehr an die Leistungsgesellschaft, wollen aber immer noch ein bisschen von dem, was die ihnen einmal versprochen hat. Die Pasta mit Weißweinsauce und den Sommer an der Atlantikküste. Den süßen Cockerspaniel auf dem teuren Sofa. „Ich wollte dein Leben nicht zerstören“, sagt Frances zu Melissa, als sie es längst getan hat. „Ich wollte es stehlen.“

Sally Rooney ist jetzt 28. Gerade liest sie Romane aus dem 19. Jahrhundert, die kein gutes Ende nehmen, Henry James’ „Bildnis einer Dame“ zum Beispiel. Sie ist in Frankreich, dort schreibt sie. „Mein einziger Job“, sagt sie, „ist es, empfänglich dafür zu sein, wie die Dinge heute sind.“ Am Ende geht es um eins: das universelle Drama, jung zu sein.